Interview mit Prof. Dr. med. Georg Kägi
10. September 2025
«Uns erwarten Therapien, die das Fortschreiten von Parkinson verlangsamen können»
Georg Kägi, Sie sind seit Kurzem Leiter des Zentrums für Parkinson und Bewegungsstörungen (ZfPB) am Inselspital. Welche Erfahrung bringen Sie in dieses hochspezialisierte Umfeld mit?
Seit meiner Doktorarbeit vor mehr als 25 Jahren interessiere und beschäftige ich mich mit Parkinson und Bewegungsstörungen. Eine Bewegungsstörung korrekt klinisch zu charakterisieren hat bis heute und auch in Zeiten einer viel stärker technisierten Medizin einen grossen und wichtigen Stellenwert. Die korrekte Klassifizierung führt oft direkt zu einer therapeutischen Konsequenz und ist auch genauso wichtig bei akademischen Fragestellungen und Studien. Diese Kompetenz konnte ich in meinen Jahren in London stark verfeinern. Am Kantonsspital St. Gallen habe ich eine Bewegungsstörungssprechstunde aufgebaut, die Tiefe Hirnstimulation (DBS) eingeführt und 2013 die erste MRgFUS-Behandlung bei einem Patienten mit Zittern durchgeführt. Diese Thematik der stereotaktischen Behandlung (DBS/MRgFUS) von Patient:innen mit Bewegungsstörungen hat mich nie mehr losgelassen. Die Wahl der individuell besten Therapie für Patient:innen bleibt eine zentrale Herausforderung, sowohl klinisch wie auch akademisch.
Was zeichnet das ZfPB aus Ihrer Sicht besonders aus – sowohl im Angebot als auch in der interdisziplinären Herangehensweise?
Das ZfPB verfügt mit seinen Mitarbeitenden über eine lange, ausgewiesene und beeindruckende Expertise – insbesondere in der Behandlung von Patient:innen mit Parkinson mittels Tiefer Hirnstimulation (DBS). Das Team vereint unterschiedlichste Berufsgruppen, die eng und harmonisch zusammenarbeiten.
Das Inselspital bietet neu in Zusammenarbeit mit dem Swiss Medical Network in Ostermundigen auch MRgFUS an. Was ist das genau – und für welche Patient:innen kommt diese Therapie in Frage?
Mit dieser Methode lässt sich in der Tiefe des Gehirns eine kleine Läsion erzeugen, ohne dass man am Schädel operieren muss. Möglich wird dies durch ein Fokussieren von mehr als 1000 Ultraschallquellen, die von aussen den Schädel beschallen. Nur dort, wo sich der Ultraschall jeder einzelnen Ultraschallsonde kreuzt, entsteht ein wenige Millimeter grosser Bereich, der sich so stark erwärmt, dass eine Läsion entsteht. Während der Behandlung liegen Patient:innen in einem Magnetresonanztomographen. So lässt sich in Echtzeit kontrollieren, ob die Erwärmung an der richtigen Stelle erfolgt.
Die Methode ist am besten untersucht bei Patient:innen mit Zittern und erzielt dort den Effekt, der dem der Tiefen Hirnstimulation (DBS) enstpricht. Auch einige Patient:innen mit Parkinson profitieren davon. Grundsätzlich ist hier jedoch die Tiefe Hirnstimulation der Goldstandard. Die Möglichkeiten sind damit nicht ausgeschöpft. Regelmässig werden auch Patient:innen mit chronischen therapieresistenten Schmerzen erfolgreich behandelt. Ich bin mir auch sicher, dass die Forschung noch weitere geeignete Indikationen bestätigen wird.
Wie läuft eine Zuweisung zur MRgFUS-Therapie konkret ab – und wie entscheidet das Behandlungsteam, ob sich MRgFUS oder DBS besser eignet?
Bei Patient:innen, die für eine stereotaktische Behandlung (DBS/MRgFUS) in Frage kommen, werden beide Methoden hinsichtlich Risiko, Wirkung und Wunsch der jeweiligen Patient:innen sorgfältig abgewogen. Dies geschieht am Besten an einem Zentrum, welches alle diese Therapien anbietet.
Bei einer Zuweisung ans ZfPB werden Patient:innen zuerst ambulant durch unsere Ärzt:innen untersucht. Wenn sie geeignet sind, folgen weitere ambulante oder stationäre Abklärungen zur Risiko-Nutzen-Einschätzung. Anschliessend diskutiert ein interdisziplinäres Board, welche Therapie am besten passt. Ob und welche Therapie durchgeführt wird, entscheiden die Patient:innen selbst. Unsere Aufgabe ist es, sie bei dieser Wahl umfassend zu beraten.
Welche Rolle spielt die Forschung am ZfPB – und wie profitieren Patient:innen konkret davon? Gibt es aktuell laufende Studien oder Projekte, die für zuweisende Kolleg:innen besonders interessant sind?
Die Forschung spielt eine grosse Rolle und es gibt zahlreichende laufende Forschungsprojekte, wovon einige einen unmittelbaren Mehrgewinn für Patient:innen haben könnten.
Erwähnenswert und relevant auch für Zuweisende ist eine grosse multizentrische internationale Studie unter der Leitung von Bern. Sie untersucht, ob sich Störungen der Impulskontrolle bei Patient:innen mit Parkinson durch eine Tiefe Hirnstimulation (DBS) stärker verbessern lassen als durch eine medikamentöse Therapie.
Daneben laufen verschiedene Studien zur Neurophysiologie bei Bewegungsstörungen. Dies auch mit Nutzung der neuen «brain-sense» Technologie bei Patient:innen mit Tiefer Hirnstimulation (DBS). Dies könnte zukünftig eine individualisierte Behandlung ermöglichen. Geplant sind weitere Studien, die DBS und MRgFUS einbeziehen. Dies betrifft nicht nur Parkinson, sondern auch anderen Tremorformen und Dystonie.
Was motiviert Sie persönlich in Ihrer täglichen Arbeit mit Menschen mit Parkinson und anderen Bewegungsstörungen – und was wünschen Sie sich für die Zukunft des Fachgebiets?
Die Bewegungsstörungen sind ein sehr spannendes und vielseitiges Teilgebiet der Neurologie. Wir betreuen sowohl ambulante als auch stationäre Patient:innen, führen Operationen (z. B. DBS), Interventionen (z. B. MRgFUS) und Botulinumtoxinsprechstunden durch. Auch andere neurologische Erkrankungen – Infektionen, Entzündungen, Tumore – oder medikamentöse Nebenwirkungen können sich als Bewegungsstörung manifestieren. Diese Vielfalt macht das Gebiet besonders abwechslungsreich. Zudem stehen uns spannende zehn Jahre bevor. Das theoretische Wissen über z. B. Parkinson ist so fortgeschritten, dass ich in den nächsten zehn Jahren mit Therapien rechne, die auch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen können. Wir werden lernen, die Krankheiten besser genetisch und auch biologisch zu charakterisieren. Auch die symptomatischen Therapien, insbesondere DBS und MRgFUS, werden weiter verbessert und verfeinert.