Warum manche Organe schneller altern als andere

Die Ansammlung von Schäden in unserem Erbgut wird häufig als die Ursache für Alterungsprozesse genannt, ist aber nur eine Hypothese unter vielen. Forschende der Universität Genf, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern haben gemeinsam einen Mechanismus identifiziert, der erklärt, warum bestimmte Organe schneller altern als andere. Die Ergebnisse bieten neue Ansätze, um die Zellalterung besser zu verstehen und möglicherweise zu verlangsamen.

Der Alterungsprozess ist durch eine Zunahme von Zellen gekennzeichnet, die sich nicht mehr teilen und ihre Funktionen verloren haben. Nicht alle Organe und Gewebe altern jedoch in gleichem Masse. Während die Leber oder Nieren schneller altern, sind Haut und Darm davon weniger betroffen. Die Mechanismen, die zu diesem Alterungsprozess beitragen, sind Gegenstand zahlreicher Diskussionen in der Wissenschaftsgemeinschaft. Es ist weithin anerkannt, dass Schäden am genetischen Material (DNA) mit zunehmendem Alter auftreten und sie die Ursache des Alterns sind. Der Zusammenhang zwischen den beiden Phänomenen ist jedoch nach wie vor unklar.

Ein Team der Universität Genf, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern hat nun herausgefunden, dass versteckte Defekte in spezifischen Bereichen der DNA für die Alterung bestimmter Gewebe verantwortlich sind. Die Gruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Deborah Stroka und Prof. Dr. med. Daniel Candinas, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin – Viszeral- und Transplantationschirurgie am Inselspital Bern und Department for Biomedical Research der Universität Bern, hat sich mit der Leberregeneration beschäftigt, insbesondere mit den Leberzellen, die sich nur selten vermehren. Prof. Dr. Thanos Halazonetis vom Department für Molekular- und Zellbiologie der Universität Genf erforscht die Mechanismen der DNA-Replikation. Gemeinsam untersuchten die Forschenden von Bern und Genf den möglichen Zusammenhang zwischen der schnelleren Alterung der Leber und der geringeren Häufigkeit der DNA-Replikation in ihren Zellen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Cell veröffentlicht.

Unterschiedliche Reparaturmechanismen in der DNA
Die DNA besteht aus zwei Arten von Bereichen: Bereiche, die Informationen für die Herstellung von Proteinen enthalten (Protein-codierend), und Bereiche, die das genetische Material regulieren oder organisieren (nicht-Protein-codierend). Zellen werden ständig durch äussere und innere Faktoren geschädigt und verfügen deshalb über Reparatursysteme, die die Ansammlung von Defekten in der DNA verhindern. In den protein-codierenden Bereichen werden solche Defekte entdeckt, wenn Gene aktiviert werden, um Proteine herzustellen. In den nicht-Protein-codierenden Bereichen werden Schäden bemerkt, wenn Zellen sich teilen und ihre DNA kopieren (DNA-Replikation). Diese Zellteilung findet aber nicht überall gleich häufig statt. Gewebe wie Haut oder Darm, die in ständigem Kontakt mit der Aussenwelt stehen, erneuern ihre Zellen (und damit ihre DNA) häufiger – ein- oder zweimal pro Woche – als innere Organe, wie z. B. Leber oder Nieren, deren Zellen sich nur ein paar Mal pro Jahr teilen.

Die Leber als ideales Modell für die Erforschung des Alterns
«Unser Studienmodell, die Mausleber, ist ein ideales Organ, um die Mechanismen der DNA-Replikation in vivo zu untersuchen. Bei erwachsenen Säugetieren vermehren sich Leberzellen nur selten, es sei denn, ein Teil der Leber wurde entfernt und die verbleibenden Leberzellen müssen sich vermehren, um die Funktionen des entfernten Gewebes zu übernehmen. Nachdem wir zwei Drittel der Leber von jungen oder alten Mäusen entfernt haben, können wir die Replikationsmechanismen in einem jungen oder alternden Organ direkt im lebenden Organismus untersuchen», erklärt Deborah Stroka, Mitautorin der Studie.

Die Forschenden haben zum ersten Mal herausgefunden, an welchen Stellen die Replikation in der DNA beginnt, wenn sich Leberzellen nach einer Gewebeentfernung erneuern. Sie stellten fest, dass diese Startpunkte immer in Bereichen der DNA liegen, die keine Proteine herstellen. Weiter beobachteten sie, dass der Start der Replikation bei jungen Mäusen viel effizienter war als bei alten Mäusen. «Diese nicht-codierenden Regionen unterliegen keiner regelmässigen Fehlerkontrolle und führen daher mit der Zeit zu einer Akkumulation von Schäden. Nach der Teilentfernung der Leber bei jungen Mäusen sind die Schäden noch gering und die DNA-Replikation ist möglich. Wird das Experiment hingegen bei alten Mäusen durchgeführt, löst die übermässige Anzahl von Defekten, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben, ein Alarmsystem aus, das die DNA-Replikation verhindert», erklärt Giacomo Rossetti, Postdoc an der Universität Genf und Erstautor der Studie. Diese Hemmung der DNA-Replikation hindert die Zellvermehrung, was zu einer Beeinträchtigung der Zellfunktionen und zur Alterung des Gewebes führt.

Hoffnung auf Verlangsamung des Alterungsprozesses
Diese Beobachtungen könnten erklären, warum langsam wachsende Gewebe wie die Leber schneller altern als schnell wachsende Gewebe wie der Darm. In Zellen, die über einen langen Zeitraum inaktiv waren, haben sich zu viele versteckte DNA-Defekte in den nicht-codierenden Regionen angesammelt, die Replikationsursprünge enthalten. Damit verhindern sie, dass die Replikation ausgelöst wird. In schnell wachsenden Geweben kommt es hingegen dank der häufigen Zellerneuerung kaum zu einer Ansammlung von Defekten, so dass die Replikationsursprünge ihre Effizienz beibehalten. «Unser Modell legt nahe, dass durch die Reparatur versteckter DNA-Defekte vor dem Auslösen der Replikation bestimmte Aspekte der Alterung möglicherweise vermieden werden könnten. Unsere weitere Forschung wird sich auf diese neue Arbeitshypothese konzentrieren», so Thanos Halazonetis abschliessend.

Details zur Publikation:
Rossetti, G., Dommann, N., Karamichali, A., et al.: In vivo DNA replication dynamics unveil aging-dependent replication stress. Cell, 17. 09. 2024, https://doi.org/10.1016/j.cell.2024.08.034

Kontaktangaben:
Prof. Dr. Deborah Stroka
Department for BioMedical Research
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin - Viszeral- und Transplantationschirurgie
Inselspital Bern
Telefon: +41 31 684 16 85
E-Mail: deborah.stroka@STOP-SPAM.unibe.ch

Prof. Dr. Thanos Halazonetis
Department of Molecular and Cellular Biology, Faculty of Science
University of Geneva
Telefon: +41 22 379 61 94
E-Mail: Thanos.Halazonetis@STOP-SPAM.unige.ch

Das Bild zeigt, dass sich vermehrende Leberzellen bei alten Mäusen DNA-Schäden aufweisen (linkes Bild), während sich vermehrende Darmzellen keine DNA-Schäden aufweisen (rechtes Bild). Sich vermehrende Zellen sind gelb gefärbt. Zellen mit DNA-Schäden sind rot markiert. © zvg