Eigenschaften von Sinusvenenthrombosen vor der COVID-19-Pandemie

Ein internationales Forschungskonsortium unter der Co-Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern publiziert heute in JAMA die Ergebnisse einer Untersuchung von Sinusvenenthrombosen, einer speziellen Art von Blutgerinnseln im Gehirn, aus der Zeit vor der Covid-19-Pandemie. Deren Begleitbefunde unterscheiden sich von den Beobachtungen im Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen, ein möglicher Hinweis auf Vektorimpfstoffe von Oxford/AstraZeneca und Johnson & Johnson als Ursache der jüngst aufgetretenen Sinusvenenthrombosen. Die Forschenden betonen, dass ihre Resultate keine Neubeurteilung der Nutzen-Risiken-Abwägung der Covid-Impfungen nötig machen.

In den vergangenen Monaten verdichteten sich Anzeichen, dass Impfungen mit den Produkten der Hersteller Oxford/AstraZeneca und Johnson & Johnson in seltenen Fällen zur Bildung von Blutgerinnseln in den Hirnvenen führen können (Sinusvenenthrombose). Es fand eine ausführliche Debatte darüber statt, ob die beobachteten Sinusvenenthrombosen auf die Wirkung bestimmter Impfstoffe zurückzuführen sei. Am 7. April 2021 hat der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz der EMA (PRAC) das Auftreten von Thrombosen bei gleichzeitigem Mangel an Blutplättchen offiziell als sehr seltene Nebenwirkung von Vaxzevria (vormals COVID-19 Vaccine AstraZeneca) anerkannt. Die vorliegende Studie liefert dazu weitere Hinweise.

 

Weitere Hinweis auf Ursache-Wirkungs-Zusammenhang

Die Studie des internationalen Hirnvenenthrombose-Konsortiums untersuchte die Daten von fast 1000 Patientinnen und Patienten, die vor der Pandemie eine Sinusvenenthrombose erlitten hatten. Die Resultate zeigen: Bei einem einzigen Patienten lag eine sogenannte «Heparin Induzierte Thrombose» (HIT), also eine durch Plättchen-aktivierende Antikörper in Anwesenheit von Heparin verursachte Bildung von Blutgerinnseln, vor. Die Konzentration von Blutplättchen lag nur selten unterhalb des Normalwertes. Die vorpandemischen Befunde unterscheiden sich also deutlich von den jüngst nach Impfungen mit Vektorimpfstoffen von Oxford/AstraZeneca und Johnson & Johnson aufgetretenen Sinusvenenthrombosen. Dies kann als weiterer Hinweis darauf gewertet werden, dass die Impfstoffe von Oxford/AstraZeneca und von Johnson & Johnson sehr selten Sinusvenenthrombosen verursachen können.

 

Studiendetails

Die Studie mit Teilnahme von sieben Spitälern des «International Cerebral Venous Thrombosis Consortiums» wurde von PD Dr. med. Mirjam Heldner und Prof. Dr. med. Marcel Arnold, der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital und von Dr. Jonathan Coutinho, Akademisch Medizinisches Zentrum Amsterdam geleitet. Beteiligt waren neben dem Inselspital, Universitätsspital Bern Zentren in Helsinki, Amsterdam, Bern, Göteborg, Lissabon, Iran und Costa Rica. Die Studie schloss die Daten von knapp 1000 Patientinnen und Patienten mit der Diagnose «Sinusvenenthrombose» aus den Jahren 1987 bis 2018 ein. Von einer Untergruppe von knapp 100 Personen standen zudem Serumproben aus den Jahren 2009 bis 2016 zur Verfügung.

 

Resultate im Einzelnen

Von den 998 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten konnten die Daten von 952 Personen ausgewertet werden. Bei der Einweisung wiesen nur 8.4% der Patientinnen und Patienten einen Mangel an Blutplättchen auf. In der Mehrzahl der Fälle konnte eine naheliegende Erklärung, wie etwa eine Krebserkrankung, Entzündungen oder Alkohol und Medikamente gefunden werden.

Die Resultate weisen darauf hin, dass der schwere Mangel an Blutplättchen, verbunden mit einer Sinusvenenthrombose, die nach der Impfung mit den beiden Impfstoffen ChAdOx1 nCov-19 und Ad.26.COV2.S auftreten können, ungewöhnlich ist. Das gleiche gilt für das Vorkommen von Plättchen-aktivierenden Antikörpern (Anti-PF4-Antikörper). Die Autoren sehen darin weitere Hinweise darauf, dass die beiden Impfstoffe (die bisher in der Schweiz nicht eingesetzt wurden) die sehr seltenen Sinusvenenthrombosen auslösen können.

 

Diskussion und Einordnung

Die Autorinnen und Autoren des Forschungskonsortiums betonen, dass ihre Resultate, die Nutzen-Risiken-Beurteilung der Covid-Impfung nicht beeinflussen. Das Auftreten von Sinusvenenthrombosen ist sehr selten, und der Nutzen der Impfungen ist ungleich höher zu gewichten.

 

Expertinnen, Experte:

  • Prof. Dr. med. Marcel Arnold, Chefarzt, Leiter Stroke Center, Stroke Unit und Neurovaskuläres Zentrum, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • PD Dr. med. Mirjam Heldner, Oberärztin, stv. Leiterin ambulantes Neurovaskuläres Zentrum, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • Prof. Dr. med. Johanna Anna Kremer Hovinga, Leitende Ärztin, Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Inselspital, Universitätsspital Bern

Links:

Sinusvenenthrombosen vor der Covid-19-Pandemie waren selten mit einer Thrombozytopenie verbunden. Die Heparin-Induzierte-Thrombose (HIT) konnte in einem einzigen Fall nachgewiesen werden.

PD Dr. med. Mirjam Heldner, Oberärztin, stv. Leiterin ambulantes Neurovaskuläres Zentrum, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Prof. Dr. med. Johanna Anna Kremer Hovinga, Leitende Ärztin, Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Inselspital, Universitätsspital Bern

Prof. Dr. med. Marcel Arnold, Chefarzt, Leiter Stroke Center, Stroke Unit und Neurovaskuläres Zentrum, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern